Ich freute mich darauf, dass er mir etwas Melodisches vorspielen würde“, sagte Steven Spielberg. „Aber John Williams“, und dabei streckte der Regisseur zwei Finger von sich, als wären es zwei alte Socken, „hämmerte mit diesen beiden hier einfach nur auf den tiefen Tasten herum, immer schneller.“ Spielberg sei damals in Lachen ausgebrochen. Dies sollte das Titelthema von „Der weiße Hai“ werden? Heute zählt diese Melodie von Williams zu den Klassikern der Filmmusik. Das Jagdmotiv verursacht noch immer Unwohlsein, mehr als 40 Jahre nach der Kinopremiere. Es ist ein Meisterwerk der Effektivität.
Musik nimmt Einfluss auf die Beurteilung eines Geschehens. Sie verstärkt oder mildert ab, was wir sehen– sie manipuliert. Der Hai im Wasser wird schneller, weil der Takt es vorgibt. Klang und Bild formen dann gemeinsam unseren Eindruck, aus dem Erinnerung wird. Nichts verdeutlicht dieses Zusammenspiel besser als jener Film, den John Williams zitiert: Alfred Hitchcocks „Psycho“. Natürlich funktioniert die Dusch-Szene, in der Marion Crane von Norman Bates mit dem Messer gemeuchelt wird, auch ohne Musik – ein guter Film muss ja auch ohne Musik funktionieren. Aber die Messerstiche entfalten größeren Horror, weil der Komponist Bernard Herrmann sie mit Stakkato-Streichern illustriert. Als Leighs Blut Richtung Abfluss fließt, stößt der zähflüssige Klang eines Cellos hinzu. Als wäre es diese Gesamtheit aller Töne, die für den Tod verantwortlich ist und dann alle Spuren verwischt.
Und was ist nach Fertigstellung dieser weltberühmten Szene passiert? Es entstand ein tiefer Graben zwischen dem Regisseur und seinem Hauskomponisten. Hitchcock wollte den Duschmord ohne instrumentale Begleitung, wollte wohl nur die Messerstiche hören. Wäre „Psycho“ dann aber noch genauso gut geworden? Man mag nicht daran glauben. Der Wunsch nach Musik ist zu groß, das Wissen, dass sie Bilder einfach besser machen muss.
Wie Filmmusik haften bleibt
Manchmal macht einem das Gedächtnis auch einen Strich durch die Rechnung. Davor sind nicht mal die Musiker selbst gefeit. Als einen seiner größten Triumphe, gab Ennio Morricone zu Protokoll, betrachtet er die Anfangsszene von Sergio Leones Spaghetti-Western „Spiel mir das Lied vom Tod“. Ein Blutbad, so der Meister, zu den Klängen des „Man with a Harmonica“. Wir kennen die Mundharmonika-Melodie, das Problem aber ist: Sie taucht in jenem von Morricone zitierten Moment gar nicht auf. Der Beginn kommt sogar ganz ohne Score aus. Morricone hat sich falsch erinnert– aber die Musik ist derart eng mit dem Film verknüpft, dass man denkt, sie laufe darin in Dauerschleife.
Wir haben die 60 besten Soundtracks ausgewählt. Berücksichtigt haben wir solche, die aus überwiegend eigens komponierten Stücken bestehen, oder aus Adaptionen vorhandenen Materials (etwa Walter Carlos’ „Clockwork Orange“). Nicht mit eingeflossen sind Sampler längst veröffentlichter Hits („Pulp Fiction“, „Trainspotting“) sowie Scores, zu denen der Film eher ein Begleitwerk war – statt umgekehrt, wie es sich für einen Soundtrack gehört (wodurch Prince’ „Purple Rain“ entfällt). Alle Scores sind chronologisch geordnet.
Vom Winde verweht (1939)
Max Steiner
Die weltberühmte Schlussmelodie, Rhett verlässt Scarlett, sie bricht auf den Stufen der Plantage zusammen, wird irrtümlich als Liebesthema gehandelt. Sie ist jedoch dem Landsitz „Tara“ gewidmet – derart opulent war Steiners zweieinhalbstündiger Soundtrack: Sogar Gebäude wurden gewürdigt. Bei den Oscars 1940 waren zwölf „Original Scores“ nominiert, Steiner verlor gegen Herbert Stotharts „Zauberer von Oz“.
Fahrstuhl zum Schafott (1958)
Miles Davis
Regisseur Louis Malle betrachtete es als Coup, Davis für seinen Jeanne-Moreau-Film engagiert zu haben – für den Trompeter war es eine Auftragsarbeit, beendet nach zwei Tagen. Die fünfköpfige Band improvisierte zu einer Leinwandprojektion des Films. Bemerkenswert, wie Davis die Evolution des Jazz betrieb. Aus Cool Jazz wurde dieser frei flottierende Modal Jazz – der wiederum eine Vorstufe zum Free Jazz bildet.
Ben Hur (1959)
Miklós Rósza
Die Mutter aller epischen Scores, und mit mehr als drei Stunden Musik (bei einer Filmdauer von 212 Minuten) der angeblich längste Soundtrack aller Zeiten. Für sein Drama um einen gefallenen Prinzen, der sich als Sklave zurückkämpft, engagierte Regisseur William Wyler mit dem Ungarn Miklós Rósza den Top-Komponisten seiner Zeit, bekannt durch die Zusammenarbeiten mit Hitchcock und Billy Wilder.
Psycho (1960)
Bernard Herrmann
Die „legendäre Dusch-Szene“ müsste in jedem Handbuch für Filmmusik stehen: Herrmann setzte auf Stakkato-Streicher, akzentuierte Hitchcocks schnell geschnittenen Mord. Der Verdacht, die schrillen Töne seien elektronisch erzeugt, wurde entkräftet: Die Mikros waren dicht an den Instrumenten platziert. Hitch wollte die Sequenz ursprünglich ohne Musik, was zum Zerwürfnis zwischen Regisseur und Komponist führte.
Ausser Atem (1960)
Martial Solal
Die grandiose Irritation bestand darin, dass Godards auf Realismus angelegter Nouvelle-Vague-Pionierfilm überhaupt einen Jazz-Soundtrack erhielt, der eben weniger erzählerisch war, sondern sich selbst genügte. Pianist Solal, heute 90 Jahre alt, verlieh der pulsierenden Großstadtatmosphäre Paris’ mit seinem flirrenden Tastenspiel und zusätzlichen Streichern die passende Hektik.
West Side Story (1961)
Leonard Bernstein
Als musikalischer Direktor der New Yorker Philharmoniker war Bernstein die logische Wahl für die Leinwandadaption des Broadway-Hits. Der Film der Regisseure Robert Wise und Jerome Robbins ist populärer noch als die Bühnenfassung, Bernstein und sein Lyriker Stephen Sondheim engagierten dreimal so viele Musiker wie vorgesehen. Ein Orchester-Spektakel, als könnten Instrumente tanzen.
Lawrence von Arabien (1962)
Maurice Jarre
Jarre erhielt seinen ersten Oscar, und die Allianz mit Regisseur David Lean sollte zu weiteren Academy Awards („Doktor Schiwago“, „Reise nach Indien“) führen. Das Dreamteam bildete die Inspiration für Steven Spielberg/John Williams. Es steckte alles drin: die Weite, die Exotik, die Einsamkeit, das Wunder des Lebens. „Lawrence von Arabien“ begründete den Soundtrack als Naturgewalt.
Der rosarote Panther (1963)
Henry Mancini
Die Titelmelodie ist zwar dem Juwelendieb Phantom (David Niven) gewidmet – aber natürlich denkt jeder bei dem Lied, das samtpfotige Neugier mit Schock-Bläsern kontrastiert (Gefühl: ertappt!), an den Vierbeiner, der später in einer Comicserie verewigt wurde. Nebenbei etablierte Komponist Mancini seinen beispiellosen Symphonic Jazz mit Latino-Anleihen.
A Hard Day’s Night (1964)
The Beatles
So wie „Magical Mystery Tour“ (1967) steht das dritte Studioalbum der Fab Four für sich, wird auch ohne den Film (Regie: Richard Lester) gewürdigt. „And I Love Her“ und „Can’t Buy Me Love“ waren Hits, die Weiterentwicklung der Band zeigte sich im Titelstück, das die Beatlemania beklagt. Harrisons legendärer Eröffnungsakkord steht für den Wahnsinn. Er klingt schief und irgendwie doch nicht schief.
Meine Lieder – meine Träume(1965)
Richard Rodgers
Natürlich ist „Edelweiss“ nicht die Nationalhymne Österreichs, aber Robert Wises ebenso verträumte wie politische Musicalverfilmung (sie behandelt den Anschluss des Alpenstaats an Nazideutschland) ist auch in der Popkultur angekommen. Björk verweist in „Dancer In The Dark“ darauf, Christian Bruhn erinnert mit seiner „Heidi“ daran. Rodgers „The Sound Of Music“ (Originaltitel) ist schönster Eskapismus.
Tanz der Vampire (1967)
Krzysztof Komeda
Er hätte der begehrteste Komponist Hollywoods werden können, doch der 37-Jährige verstarb 1969 an den Folgen eines Sturzes bei einer Party. Komeda stattete Roman Polanskis Blutsauger-Groteske mit diabolischen Chören aus, mit osteuropäischer Folklore, bei der sich alle Haare aufstellen – aber auch mit einer Hymne auf die schöne Sharon Tate („Sarah In Bath“).
Spiel mir das Lied vom Tod (1968)
Ennio Morricone
Die Melodie kennt wohl jeder, aber es ist der zweite Teil von „Man With A Harmonica“, der stilprägend wurde: Ein himmlischer, stolz marschierender Chor deutet die blutrünstigen Cowboys in glorreiche Kämpfer um. Das Antihelden-Motiv überdauerte den Spaghetti-Western, und wann immer etwa Tarantino seine Killer, die für ihn Erlöser sind, loslässt, hat er Morricone im Sinn.
In der Hitze der Nacht (1967)
Quincy Jones
Als Polizist, der in einer rassistischen Südstaatengemeinde einen Mord aufklären soll, erhielt Sidney Poitier, erster schwarzer Hollywood-Superstar, musikalische Unterstützung von Quincy Jones und im Titelsong von Ray Charles: „Stars with evil eyes stare from the sky …“. Eine Win-Win-Win-Situation, die Norman Jewisons Drama fünf Oscars einbrachte – aber keinen für die drei Afroamerikaner.
Bullitt (1968)
Lalo Schifrin
Neben John Barry galt Schifrin, heute 85, als der Mann für Agentenmusik. Mit „Mission Impossible“ und Peng!-Peng!-Orchester feierte der Pianist den Durchbruch, aber der Score zu Peter Yates’ Cop-Thriller war sein Meisterwerk. Spannungsgeladener Bläser-Zack, lauernder Bass, perkussives Dauerfeuer. Der Argentinier spielte ihn mit der WDR Big Band im Jahr 2000 neu ein.
Im Geheimdienst Ihrer Majestät(1969)
John Barry
Barrys elf Bond-Scores sind allesamt spektakulär, dieser hier überwältigt durch den Mut, das Titelmotiv als rein instrumentale Mischung aus Band und Orchester aufzubereiten sowie durch Louis Armstrongs göttliches „We Have All The Time In The World“. Die anderen Stücke finden sich heute auf Cocktail-Jazz-Samplern sowie als Einspielmusik für Rocko Schamonis Shows.
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Der Swimmingpool (1969)
Michel Legrand
Legrand hatte eine Oscarnominierung erhalten („Die Regenschirme von Cherbourg“) und arbeitete bereits erfolgreich in Hollywood. Für Jacques Derays Thriller ging er zurück zur Côte d’Azur, holte den Jazz aus Amerika rüber, Orgel-psychedelisch, schwül. Die Hauptdarsteller Alain Delon und Romy Schneider waren sechs Jahre zuvor ein Paar, mit seiner Musik brachte Legrand sie auf der Leinwand wieder zusammen.
Blow-Up (1969)
Herbie Hancock
Antonionis Film war ein eklektizistisches Stück Kunst, widmete sich verspätet dem Swinging London, bediente dennoch die Gegenkultur – und bot Hancock in seinem ersten Soundtrack die Möglichkeit, mit Surf und Beat zu experimentieren. „Bring Down The Birds“ begründete einen der bekanntesten Dance-Songs der letzten 30 Jahre: Weil Deee-Lite die Basslinie 1990 für deren Hit „Groove Is In The Heart“ nutzten.
Asphalt-Cowboy (1969)
John Barry
Harry Nilssons Version von Fred Neils „Everybody’s Talkin’“ überstrahlte Barrys Score, die Instrumentals aber setzten die erzählerischen Akzente. John Schlesingers Drama um zwei Außenseiter in New York, der eine ein schwules Landei (Jon Voight), der andere ein kränklicher Trickbetrüger (Dustin Hoffman), stattete Barry mit zynischen, quälend langsamen Oden an die Stadt aus.
Brennpunkt Brooklyn (1971)
Don Ellis
Jazzer schreiben Soundtracks, das war 1971 nicht mehr neu. Ellis’ Zugang schon. Für William Friedkins Thriller schuf der Avantgardist verstörende Miniaturen, die mehr Atmosphäre waren als konventionelle Musik. Die verzögerte, verhallte Trompete illustrierte den elendigen Zustand der Stadt New York, die sich aus dem Klammergriff der „French Connection“ (Originaltitel) zu befreien versuchte.
Uhrwerk Orange (1971)
Walter Carlos
Während Walter Carlos sich einer Geschlechtsumwandlung unterzog und heute Wendy heißt, vollendete er diese Adaption klassischer Stücke, z.B. Beethovens 9. Symphonie oder Rossinis „Diebische Elster“. Elektro-Fantasien, verfremdet durch den Vocoder-Vorläufer Spectrum Follower, der jeden Ton klingen lässt, als irrte man durch einen Jahrmarkt des Grauens.
Shaft (1971)
Isaac Hayes
Die Hauptrolle ging an Richard Roundtree, aber den Ruhm erntete Hayes. Vier Grammys bekam er – und für den Song „Theme From Shaft“ als erster afroamerikanische Musiker einen Oscar. Der kulturelle Wert des Blaxpoitation-Films kann nicht überschätzt werden. Hayes ließ es sich nicht nehmen, den Detektiv statt mit einer Jobbeschreibung so vorzustellen: „Who’s the black private dick / That’s a sex machine to all the chicks?“
Aguirre, der Zorn Gottes (1972)
Popol Vuh
In einer gerechten Welt müssten Popol Vuh zur heiligen Allianz Klaus Kinski/Werner Herzog aufschließen dürfen. Die von Florian Fricke gegründete Band stattete deren Abenteuer mit eskapistischem New Age und indischer Spiritualität aus. Daraus entstand, hier und bei „Fitzcarraldo“, ein spannendes Missverhältnis – die Musik klang weiser und perspektivischer als Kinskis wütendes Verharren im Jetzt.
Superfly (1972)
Curtis Mayfield
Der einzige Soundtrack, der ein Genre deutlicher förderte als sein Film. Mayfield erhob Blaxploitation zum Statement afroamerikanischer Subkultur, indem er die Story eines Koksdealers (Ron O’Neal) viel kritischer betrachtete, als das im Kino geschah. Soul wie „Freddie’s Dead“ machte auf Armut und Rassismus aufmerksam – nicht umsonst wird diese Platte in einem Atemzug mit Marvin Gayes „What’s Going On“ genannt.
Der Pate, Der Pate – Teil II (1972/74)
Nino Rota/Carmine Coppola
Es gibt Walzer, bei denen klopft der Tod an, sie sind nicht freudig, sondern melancholisch. Wie Nino Rotas „Godfather Waltz“, der die Geschichte einer Mafia-Familie voller Morde ankündigt. Für den zweiten „Pate“-Score zeichnete der Vater des Regisseurs, Carmine Coppola, verantwortlich. Das tragikomische „Kay“, eine Variation von Duke Ellingtons „Lotus Blossom“, ist der traurigen Corleone-Gattin gewidmet.
Der Clou (1973)
Marvin Hamlisch
Über die Originalität des Soundtracks von George Roy Hills Gangsterdrama, in dem Paul Newman und Robert Redford während der Großen Depression den ultimativen Raub planen, lässt sich vielleicht streiten: Hamlisch verantwortete werkgetreue Klassiker-Adaptionen. Allerdings brachte er den Ragtime wieder ins Bewusstsein und natürlich dessen König, Scott Joplin („The Entertainer“).
Every Nigger is a Star (1974)
Boris Gardiner
Der Score ist der Heilige Gral des Reggae – weil der dazugehörige Film als verschollen gilt. Er soll sehr schlecht sein. Die Rückkehr eines Jamaikaners in seine Heimat illustrierte Gardiner jedoch mit einigen der einprägsamsten Melodien des Genres. Der Soundtrack ist hip, seit Kendrick Lamar ihn 2015 auf „To Pimp A Butterfly“ sampelte und der Titelsong im Kinohit „Moonlight“ untergebracht wurde.
Der weiße Hai (1975)
John Williams
Regisseur Steven Spielberg hielt es zunächst für einen Witz, als Williams ihm am Klavier die Zweitonmelodie vorspielte. Heute gilt die sich ins Crescendo steigernde Tonfolge als wohl berühmteste neben Beethovens 5. Symphonie. Die Hai-Nummer ist heute Allgemeingut des Entertainments, würde gar als Parodie funktionieren, wenn man einen Hamster beim Jagen zeigt.
The Rocky Horror Picture Show(1975)
Richard O’Brien
Der erste große „Rocky“ der Popkultur war nicht der Boxer, sondern diese Musical-Verfilmung um Dr. Frank N. Furter (Tim Curry), in dessen Horrorschloss sich Meat Loaf durch die Hallen wuchtet. Richard O’Brien, als Riff Raff in einer Nebenrolle, schrieb Psycho-Party-Hits, wie den „Time Warp“. Damals schon als Queer-Statement gefeiert – und im Pop-Niemandsjahr des Jahrzehnts, 1975, ein Lichtblick.
Taxi Driver (1976)
Bernard Herrmann
Regisseur Martin Scorsese konnte für seinen Film den Hitchcock-Komponisten verpflichten. Herrmann verstarb vor der Kinopremiere. Die Psychopathie des Vietnam-Veteranen Travis Bickle (Robert De Niro) äußert sich in Trompeten-Attacken, kaum abgebremst durch schwindelerregend gespielte Harfen, während Travis’ unglücklich verlaufende Romanze mit Betsy (Cybill Shepherd) durch Easy Jazz verhöhnt wird.
Die drei Tage des Condor (1975)
Dave Grusin
Robert Redford und Regisseur Sydney Pollack liebten Grusin – dennoch erstaunlich, dass sie für ihren Polit-Thriller um einen CIA-Analysten, der innerhalb der Behörde ein Komplott aufdeckt, diesen Score abnickten. Der heute 83-Jährige lieferte kein bedeutungsschweres Drama, sondern Uptempo-Jazz-Funk, in dem der seit „Shaft“ salonfähig gewordene Wah-Wah-Gitarreneffekt prominenten Einsatz findet.
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Rocky (1976)
Bill Conti
Bei „Gonna Fly Now“ möchte man tausend Stufen emporrennen. Die Sportlerhymne beeindruckt durch ihre Fusion aus Chor, Orchester und Soulband – selten klangen Schlagzeug und Streicher so fein austariert. Stücke wie „Take You Back“ huldigen dem Brennende-Mülltonnen-Flair des gebeutelten Philadelphias, „Reflections“ ist eine Hommage an „Summer Madness“ von Kool & The Gang.
Das Omen (1976)
Jerry Goldsmith
„Sanguis bibimus, corpus edimus, tolle corpus Satani“: „Wir trinken das Blut, wir essen das Fleisch, wir erwecken den Körper Satans zum Leben.“ In Richard Donners Film wird der Beelzebub wiedergeboren, und Goldsmith textete lateinische Gebete in Oden an den Teufel um – heute in okkulten Werken gängig, damals revolutionär. Oscar für den Score, „Ave Satani!“ erhielt eine Nominierung als Filmsong(!).
Saturday Night Fever (1977)
Bee Gees
Die Randnotizen über einen der erfolgreichsten Scores aller Zeiten sind fast noch aufregender als die Disco-Songs: Die Bee Gees wurden erst in der Postproduktion engagiert, schrieben dann innerhalb eines Wochenendes „Stayin’ Alive“, „How Deep Is Your Love“ und „More Than A Woman“. Und jeder Fan wollte wie Tony Manero (John Travolta) sein, der auf der Tanzfläche nicht mehr Working Class ist, sondern King.
Midnight Express (1978)
Giorgio Moroder
Das Missverhältnis zwischen Setting und Musik störte nicht: Statt Folklore zu nutzen – das Drama spielte sich in einem Istanbuler Gefängnis ab –, vertraute Hi-Energy-Pionier Moroder seinen Synthesizer-Symphonien, die ihm seinen ersten Soundtrack-Oscar einbrachten. Das repetitive „Chase“ ist ein Disco-Klassiker. Das Titelstück wirkt wie eine Bontempi-Oper aus den größten Lautsprechern der Welt.
Halloween (1978)
John Carpenter
Unverschämtes Understatement: Weil er nicht komponieren, geschweige denn sich Musiker leisten könne, so Carpenter, habe er den Score zu seinem Slasher-Film selbst eingespielt, in drei Tagen. Heute gilt er als Messlatte für reduzierte Elektro-Soundtracks. Das Titelmotiv ist der Geniestreich, dessen 5/4-Takt mit hämmerndem Klavier zum Inbegriff von Panik geworden ist.
Zombie (1978)
Goblin
Für die europäische Filmversion seines Zombie-Klassikers engagierte Regisseur George A. Romero die italienischen Fusionrocker. Sie empfanden jene Musik nach, die Überlebende der Apokalypse in einer amerikanischen Shopping Mall hören würden: Muzak, Cowboy-Jangle, Soft Jazz. Als die Untoten die Mauern einreißen, kommen Herzschlagtrommeln und düstere Synthi-Orchester dazu.
Apocalypse Now (1979)
Carmine Coppola
Am bekanntesten sind natürlich Wagners „Walkürenritt“ bei der Bombardierung des Dorfs sowie „The End“ der Doors samt Rotorengeräusch. Aber für den wahren Vietnamkriegs-Horror sorgen die in tiefste Schützengräben hinabrauschenden Synthi-Sounds von Coppola sowie der Percussion-Wumms des Grateful-Dead-Drummers Mickey Hart.
Dressed To Kill (1980)
Pino Donaggio
Romantik bedeutet, so erschließt sich das Werk des Regisseurs Brian De Palma, dass am Ende immer einer der Liebenden stirbt. Das war bei „Carrie“ so, bei „Blow Out“ – und bei „Dressed To Kill“, zu dem der venezianische Violinist Donaggio Seifenoper-Schmelzgeigen erklingen lässt. Der Schönklang findet erst ein Ende, als Michael Caine in Frauenkleidern sein Messer zückt.
Das Imperium schlägt zurück (1980)
John Williams
Mit dem ersten „Krieg der Sterne“ stellte Williams die legendäre Titelmelodie vor. Der zweite Score verfeinerte Licht- und Schattenseiten. „Han Solo And The Princess“ illustriert die Liebe, „Yoda’s Theme“ die Magie, und der „Imperial March“ ist jener zur bedrohlichen Überwältigung gesteigerte Geniestreich, um den alle Diktatoren dieser Welt Darth Vader beneiden dürften.
Jäger des verlorenen Schatzes(1981)
John Williams
Die schönsten Helden-Hymnen sind solche, die auch als Parodie funktionieren. Egal ob im „Dschungelcamp“ oder im Freizeitpark: Der „Raiders March“ setzte den Ton für die Abenteuer des Archäologen, die zu fantastisch sind, um wahr zu sein. Dass Williams im selben Oscarjahr gegen Vangelis’ „Chariots Of Fire“ verlor – das wiederum war leider wirklich wahr.
Das Boot (1981)
Klaus Doldinger
Samples gibt es überall, aber hier waren Sonargeräusche als Rhythmus natürlich Pflicht – das Drama dreht sich um eine U-Boot-Besatzung, die im Zweiten Weltkrieg zur letzten Mission aufbricht. Grandiose Titel wie „Warten“, „Absinken“, „Auf Grund“ und „Eingeschlossen“ sprechen für sich. Jazz-Koryphäe Doldinger, heute 81, wurde zum großen Leinwandkomponisten.
Die Klapperschlange (1981)
John Carpenter & Alan Howarth
Die Steel Drums gaben dem Endzeitdrama urbanes Flair, wahnsinnig schön war die elektronische Verarbeitung von Debussys „Engulfed Cathedral“, zu der Snake Plissken mit dem Segelflieger im zerstörten New York landet. Das melancholische Titelstück war Carpenters Meisterwerk: So gut, dass es im Vorspann weitestgehend ohne Filmbilder laufen konnte.
Conan der Barbar (1982)
Basil Poledouris
Vielleicht der größte aller Scores, die keine Oscarnominierung erhielten. Regisseur John Milius wünschte sich eine Hommage an Orffs „Carmina Burana“. Poledouris schenkte ihm eine zweistündige Symphonie voller Gewalt, aber auch voller Liebe. Etliche Wiederveröffentlichungen wie Neueinspielungen dokumentieren die Würdigung des Materials, „Anvil Of Crom“ ist bis heute DIE Einspielmusik aller (Möchtegern-)Krieger.
Blade Runner (1982)
Vangelis
Grandios war der Einsatz der Elektronik im Allgemeinen und des Moog-Synthesizers im Speziellen, aber für seine Zukunftsvision des Jahres 2019 huldigte Vangelis Los Angeles vor allem als Melting Pot. Türkische und chinesische Klänge, kontrastiert mit Crooner-Soul. Das „Love Theme“ ist eine wunderschöne, aber unverschämt direkte Kopie von Frankie Vallis „Can’t Take My Eyes Off You“.
Krull (1983)
James Horner
„Gorky Park“, „Testament“, „Star Trek 2“ und „Krull“: In den frühen 80er-Jahren komponierte Horner, gerade 30 Jahre alt, einige der melodisch vielfältigsten Soundtracks, angelehnt an John Williams’ Symphonien, aber prominent mit elektronischen Percussions versehen. Ab den Neunzigern wurde ihm Selbstplagiat vorgeworfen – hier entdeckte er noch Neuland.
Furyo – Merry Christmas, Mr. Lawrence(1983)
Ryuichi Sakamoto
Dass David Sylvian „Forbidden Colours“ sang, war vielleicht als Gag gemeint (er war, Achtung, Sänger der Band: JAPAN). Seinen Score zu Nagisa Oshimas Weltkriegsdrama stattete Sakamoto, der neben David Bowie eine Hauptrolle übernahm, mit Folklore, Ambient und Asia-Pop aus. Der Score ist nicht besser als Sakamotos Arbeiten mit dem Yellow Magic Orchestra – aber eine neuartige Fusion aus Ost und West.
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Dune – Der Wüstenplanet (1984)
Toto
Auf dem Höhepunkt ihrer Popularität, nach Singles wie „Africa“ und „Rosanna“, probierten sich die Schlagerrocker für David Lynchs Verfilmung von Frank Herberts Fantasy-Saga an Klassik. Ihre Wüstenoper reflektierte die Wucht von Maurice Jarres „Lawrence von Arabien“, und Brian Eno steuerte mit seinem „Prophecy Theme“ einen Ambient-Track bei, flirrend wie die Hitze über Arrakis.
Zurück in die Zukunft (1985)
Alan Silvestri
Die Nominierung bekam er für Schmalz („Forrest Gump“), die Kohle für Comic-Quatsch („The Avengers“). Seine rebellische Musik aber entstand in den Achtzigern. Robert Zemeckis Sci-Fi-Komödie hatte nicht nur Huey Lewis’ Songs, sondern auch, entschuldigen Sie das Wortspiel, ein Silvestri-Feuerwerk des aufbrausenden, panisch agierenden Stop-and-Go-Orchesters. Klassisches Screwball-Material.
Legende (1985)
Jerry Goldsmith
Die Amerikaner mussten im Kino den Planetariums-Ambient von Tangerine Dream ertragen, die Europäer kamen in den Genuss von Goldsmiths Orchester-Fantasie, in der er Elfen und Einhörner mit seinen bezauberndsten Melodien ausstattete. Es ist Kitsch, aber schönster Kitsch. Der Einsatz von Synthis erfolgte spärlich – und eben nie, um ein Orchester zu ersetzen, sondern um es zu ergänzen.
Rain Man (1988)
Hans Zimmer
Heute fährt Hans „Loudness“ Zimmer Orchester auf, bei seinem ersten großen Hollywood-Auftrag aber sagte er: „Die Musik darf nicht imposanter sein als die Charaktere.“ Für die Tragikomödie über einen Autisten komponierte er eine kleine Keyboardmelodie, gepaart mit Steel Drums, Bongos und Panflöte. So zurückhaltend würde der gebürtige Hesse nie mehr sein – so prägnant auch nicht.
Batman (1989)
Prince
Es ist die bis heute letzte Soundtrack-Auftragsarbeit, die ein Megastar annehmen würde, ohne selbst im Film mitzuspielen. In der Comicfigur des Gemini, für die Musikvideos kreiert, vereinte Prince seine zwei Seiten, die Ekstase des Jokers („Partyman“) und den Pessimismus des Batman („The Future“). „Batdance“ ist ein Sample-Kunstwerk aus Heavy Metal, Funk und Filmzitaten.
Twin Peaks – Der Film (1992)
Angelo Badalamenti
Für die TV-Serie zelebrierte David Lynchs Komponist Seifenoper-Dramatik voller Klischees. Der weit düstere Kinofilm bot dann jene Klänge, zu denen Meuchelei und Vergewaltigungen sich entfalten. Der hypnotisch-diabolische Blues des „Pink Room“ überwältigt bis heute. Einzig das Filmende, bei dem Laura Palmer zur „Voice Of Love“ in den Himmel fährt, bietet bittersüßen Trost.
Judgement Night(1993)
Various Artists
Rap-Rock war Mitte der 90er-Jahre das neue Ding und „Judgement Night“ leistete Vorarbeit – ein Score, der bekannter ist als der Film. Er bot aufwühlende Paarungen (Teenage Fanclub/De La Soul, Slayer/Ice-T, Sonic Youth/Cypress Hill, Helmet/House Of Pain, Faith No More/Boo-Ya T.R.I.B.E.), die besser gealtert sind als Nachzüglerbands à la Limp Bizkit, die zwanghaft beide Genres in sich vereinen wollen.
Die Truman Show (1998)
Burkhard von Dallwitz/Philip Glass
In Peter Weirs Mediensatire über einen Versicherungsangestellten (Jim Carrey), der nicht weiß, dass sein ganzes Leben für eine Fernsehshow inszeniert wird, verantwortete Dallwitz jene positiven Motive, in denen Truman den Ausbruch aus der künstlichen Welt wagt; Minimal-Music-Pionier Glass illustriert am Piano todtraurige Momente, in denen der Held alleine ist.
The Virgin Suicides (1999)
Air
Das Pop-Duo lässt die Fusion-Ära der Siebziger aufleben, Pink Floyd und Goblin im Sinn. Orgeln und Sirenengesang, tiefrot und samtig, passgenau für Sofia Coppolas Verfilmung von Jeffrey Eugenides’ Roman über Schwestern, die nach und nach Selbstmord begehen. Eine Fingerübung für AIR, die Hommage an ein Musikzeitalter, das vergessen schien – und möglicherweise ihre beste Platte.
Der Herr der Ringe – die Gefährten(2001)
Howard Shore
Für Klassik-Soundtracks waren die Nullerjahre ein Katastrophenjahrzehnt, aber am Beispiel der Tolkien-Trilogie Peter Jacksons zeigte sich, wie sehr ein Komponist davon profitiert, wenn er Monate, nicht Wochen an Zeit für seine Arbeit erhält. Ob Gandalf oder Sauron, Aragorn oder Sam: Fast jede Figur erhält ihr eigenes Motiv. Der Score ist bei den Schlachten bombastisch, bei den Einzelschicksalen intim.
Million Dollar Baby (2004)
Clint Eastwood
„They’re Amateurs“ und „Lethal Dose“ heißen zwei Stücke, die Eastwood für sein Drama komponierte: Als Trainer begleitet er eine Boxerin vom Aufstieg bis zu ihrem Tod, bei dem er Sterbehilfe leistet. Mit Streichquartett, Klavier und Akustikgitarre schuf Eastwood Jazz-Miniaturen, die einem selbst dann Tränen in die Augen treiben, wenn man den Film nicht kennt.
Birth (2004)
Alexandre Desplat
Wie auch der „Godfather Waltz“ aus Nino Rotas „Pate“-Soundtrack illustriert der melancholisch-schwankende „Birth“-Walzer das fragile Befinden seiner Figuren. In Jonathan Glazers Drama erhält eine Witwe Besuch von einem Jungen, der sich als Wiedergeburt ihres Mannes ausgibt. „Birth“ war der erste große Auftrag für Desplat, danach verlegte sich der Franzose auf affektierte Streicher und Wes-Anderson-Klamauk.
Drive (2011)
Cliff Martinez
Martinez ist in der „Rock and Roll Hall of Fame“ vertreten – er trommelte einst bei den Red Hot Chili Peppers. Für Nicolas Winding Refns Thriller komponierte der inzwischen 63-Jährige einen elektronischen Score, in dem sich Venice-Beach-Glitzer mit Hochgeschwindigkeits-Beats abwechseln. Der Vintage-Sound klingt so, als wäre er 1987 aufgenommen worden.
Under The Skin (2013)
Mica Levi
In Jonathan Glazers Sci-Fi-Film landet ein Alien (Scarlett Johansson) auf der Erde und tötet – mitleidlos, aber neugierig – Männer, Frauen, Menschen mit Behinderung. Die Britin Levi übersetzte das in Töne, die komplett entmenschlicht klingen, aber mit Basis-Equipment aufgenommen wurden. Wie Insekten flirrende Streicher, nervös machende Trommelschläge, zusammengestoßene Mikrofone.
David Strick Getty Images
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